traumkino basel

ALS DAS KINO IN BASEL BEGANN von Paul Meier-Kern

('Verbrecherschule oder Kulturfaktor? Kino und Film in Basel 1896-1916' - Helbing & Lichtenhahn 1992, ISBN 3-7190-1235-2): Telefongespräch mit dem Autor am 14.2.2007 und Besuch am 10.3.2007 (Zitate mit freundlicher Genemigung des Verlages - Telefon mit Frau Burucker am 16.02.2007)


DAS PUBLIKUM

`Und dass die Einflussreichen und Alteingesessenen nicht zu den Kinofreunden gehörten, wissen wir bereits von Abt, sofern er recht hat. Denn ein allerdings etwas dubioses Basler Blättlein, die ,Laterne’, polemisierte 1912: „Bei den niederträchtigsten Schunddramen…sind diese Kinematographen…-Theater bis auf den letzten Platz vollgepfropft von einem Maul und Nase aufsperrenden Publikum. Die verehrliche Kientoppkundschaft ist aber keineswegs aus sogenanntem Lumpenpack zusammengesetzt, es befinden sich sogar hochanständige Damen darunter…“ Auf die Beliebtheit des Kinos weist auch die Zunahme von vier auf sechs im Jahre 1910 hin, wobei der Kinobesuch offenbar auf die Kosten von Unterhaltungsstätten ging (…)

Damit wir trotz der schlechten Quellenlage für Basel wenigstens eine ungefähre Vorstellung davon bekommen, was für Schichten die häufigsten Kinogänger waren, seien hier kurz die Ergebnisse referiert, welche eine- allerdings nach heutigen Begriffen nicht repräsentative- Umfrage erzielt hat, welche die Soziologin Emilie Altenloh im Jahre 1912 in Mannheim durchgeführt hat.

Mannheim hatte 1900 140 000 Einwohner (Basel 110 000), davon waren 60 000 katholisch (Basel 36 000). In beiden Städten entwickelte sich die Industrie rasch: Maschinen, Instrumente (Mannheim), Chemie (Basel). Mannheim hatte 1912 5 Innerstadt- und 7 Quartierkinos, Basel 5 in Grossbasel, 3 in Kleinbasel.

Altenloh verteilte 15 000 Umfragebogen, 2400 erhielt sie zurück, davon 1400 von Schülern und Schülerinnen (die sie in Klassen befragt hatte, in einer Handelsfortbildungsschule für 14- bis 17jährige). Nur 200 Handwerker, Ingenieure, Offiziere usw. reagierten, der Rest kam aus der Arbeiterklasse, die zum Teil in ihren Vereinen befragt wurden (…)

Sicher ist soviel: Kinder gehörten zu den häufigsten Kinobesuchern. Dies bestätigen alle Beobachter, so z.B. 1909 in Jena, wo innerhalb von zwei Monaten 524, also fast genau 50%, von 1050 befragten Kindern das Kino besucht hatten. Von den ungelernten jugendlichen Arbeitern gingen je ein Drittel einmal pro Woche, ein Drittel einmal pro Monat ins Kino. Von den gelernten jugendlichen Arbeitern, meist aus kleinbürgerlichen Verhältnissen, waren nur ein Viertel noch nie im Kino.

Für erwachsene Arbeiter verliert das Kino seine Kraft: sofern noch unverheiratet, geht mehr als die Hälfte „mit der Bekanntschaft“ und braucht das Geld für anderes: sofern verheiratet, gehen die Männer an Wahl- und Gewerkschaftsveranstaltungen. An solchen Abenden werden dann ihre Frauen zu Kinogängerinnen: mehr als die Hälfte einmal pro Woche.

Handwerker zeigen wenig Interesse am Kino. Bei den jüngeren kaufmännischen Angestellten gehen die Männer öfter als die Frauen, die Männer oft „aus Langeweile, von der das Kino profitiert“, während die Frauen noch häufig in den Rahmen der Familie eingespannt und unselbständiger sind.

Die übrigen Schichten sind sporadische Besucher. Oberschichtfrauen besuchen oft am Nachmittag die Kinos.

Bei männlichen Jugendlichen sind Wildwestfilme, Filme vom Verbrecherkönig Zigomar, von Ringkämpfern und Seiltänzern beliebt. Werden sie älter, interessieren sie auch Liebes- und Sittenfilme. Frauen bevorzugen „Herzenskonflikte“, bei ihnen ist die Vorliebe für Oper und Kino vereint.

Den Erfolg des Kinos erklärt sich Altenloh durch zwei wirtschaftliche Faktoren der Gründerzeit: die Reduzierung der Arbeitszeit und die angestiegenen Löhne. Die Tendenz zum Kino sei zunehmend: „Das Eintrittsgeld ist niedrig, man kann jederzeit und ohne besondere Vorbereitung hingehen.“ Dies erklärt auch den Rückgang des Theaterbesuchs seit 1908 (ebenfalls in Basel!).

Ein Beweis für die Faszination des Kinos vor allem auch für die Jugend ist die überfüllte Sonntagsschule des Abbé Joye im Basler Borromäum. Der Film zog die Kinder in Massen an. Abbé Joye war aber ein gestrenger Zensor. Das konnte man von den anderen Kinounternehmen nicht behaupten.

DIE FILME

Der Basler Lokalpoet Dominik Müller drückte in einem Gedicht (,Kinema’) in vereinfachter, verdichteter Form aus, was man im Kino suchte, nämlich die Welt horizontal: um den Globus, ferne Länder- und vertikal: von den Majestäten bis zu den Hütten der Armen. Und last but not least: Hintertreppenrührgeschichten. Was der offenbar eifrige Kinogänger in einem der damals (Mai 1908) vier Basler Kinos feststellt, bestätigten deren Anzeigen in den Tageszeitungen.

Die allererste Ankündigung des Fata Morgana nimmt die wichtigsten Elemente programmatisch vorweg: „Unterhaltend! Belehrend! Humoristisch! Phantastisch!“ (Basler Nachrichten 24. 12. 1907). Das unterhaltende Element wird verdeutlicht in einem späteren Inserat (Basler Nachrichten 8.11.1908):

„Das Kind der Schiffsleute Ergreifendes Drama…
Die Tochter des Holzhauers Tief erschütterndes Drama…
Der schönste Tag des Lebens Rührendes Drama aus dem Leben eines 14jährigen Mädchens“

Ganz unverblümt wird für sie geworben, die „Hintertreppenrührgeschichten“. Daneben: viel Ulkiges, Schnurren, Possen, Grotesken, Burlesken, Lachfilme, Spektakelstücke, Humoristisches- alles Ausdrücke aus demselben Inserat. Ferner aus der grossen weiten Welt: Die Krabbenfischerin (mit prachtvollen Küstenbildern und Brandungsscenerien), Wassersport in Paris, Die letzte grosse Überschwemmung in Moskau.

Was bekam man in den Basler Kinos im Laufe der Jahre sonst noch zu sehen? Hier ein notgedrungen äusserst geraffter Querschnitt: 1909 Napoleon (für Schüler geeignet), Die tote Hand (Kunstfilm), 1910 Untersuchung des menschlichen Magens durch Röntgenstrahlen, Die Macht der Erinnerung, Die weisse Sklavin, 1911 Madame Sans-Gêne, Sündige Liebe, Zigomar- der Verbrecherkönig von Paris, 1912 Der Graf von Monte-Christo, Hexenfeuer, 1913 Ihr guter Ruf, Cleopatra, Quo Vadis, Richard Wagner, 1914 Fantomas, Zapatas Bande, Die Sünden der Väter, 1915 Die gefoppte Tante, Cabiria, Das Kind der Sünde, 1916 Die Liebe vom Zigeuner stammt, Polnisch Blut (Dänischer Kunstfilm), Die Zerstörung von Karthago.

Neben einem Hauptfilm, der von etwa 1912 an im Zentrum des Programms und damit auch der Werbung steht, gibt es aber auch noch 1916 eine ganze Reihe weiterer Filme: „Humoresken, Naturaufnahmen und Kriegsbilder, schmücken das übrige Programm“ (Basler Vorwärts 1.11.1916).

DER KOMFORT UND DIE SPIELZEITEN


Filmprojektor Pathé-Kok von 1913
  

Man darf sich unter den Kinos natürlich noch nicht die repräsentativen Gebäude der zwanziger Jahre (Capitol, Alhambra, Palermo) vorstellen. Sie befanden sich ja meist in den umgebauten Erdgeschossen schon bestehender Häuser. Das Platzangebot schwankte zwischen etwa 200-450 Sitzen. Doch im Innenausbau gab man sich alle erdenkliche Mühe, damit sich die Gäste wohl fühlten. Behaglichkeit war gross geschrieben. Schon 1908, beim neuen Fata Morgana Kleinbasel, lobten die Basler Nachrichten den „Musterbau“ mit seinen „geschmackvollen Bildhauerarbeiten“ (10.10.1908). Auch beim Central glaubte man, mehr könne gar nicht mehr geboten werden (National-Zeitung 29.11.1908). Ein „Eingesandt“ der Zeitung überfloss von Lob für die „hochfeine, ruhige und wohltuende

Ausstattung…die glückliche Farbenzusammenstellung, die vornehmen Stofftapeten…die warmen Töne des elektrischen Glühlichts“ im Kinosaal. Alles erziele „beim Besucher ein überaus behagliches Gefühl“. Ein Leserbrief in der gleichen Nummer wünschte „die Beseitigung der Hutplage“. Man solle die werten Damen zum Ablegen ihrer Kopfbedeckungen bringen- sonst setzen „wir Männer der Hutplage die Rauchplage gegenüber…Also bitte, Remedur!“ (National-Zeitung 25.12.1908).

„Gut erwärmt und ventiliert“ war das Fata Morgana Grossbasel im Dezember 1907. „Der Saal ist sehr kühl und ventiliert“, hiess es beim gleichen Kino im Juni 1915. Dass dort auf dem Balkon Rauchen gestattet war, kam vielen Besuchern entgegen. Mit „Rauchfreiheit“ lockte auch der American Bio.

Zum Komfort trug auch die Aufstellung von Automaten für Schokolade und andere Süssigkeiten bei. Aber der Hauptvorteil der Kinos gegenüber den anderen Unterhaltungsstätten war, abgesehen vom Einrittspreis, die Öffnungszeit. Die von der Polizei erlaubte Spielzeit dauerte von 3 bis 11 Uhr. Musik war bis halb elf Uhr gestattet. Besonders wichtig: Man hatte „Zutritt fortwährend“ (Basler Vorwärts 5.12.1913), wie grundsätzlich noch heute. Dies galt auch, als um 1912 einzelne Filme eine, zwei Stunden oder sogar länger dauerten. Allerdings wurde dann, zum Beispiel vom Fata Morgana, wenigstens der Beginn der letzten Vorstellung angegeben, achteinhalb oder neun Uhr.

DIE PREISGESTALTUNG

Dass sich das Stadttheater vermehrt dem Konkurrenzdruck der Kinos ausgesetzt sah, lag natürlich nicht zuletzt am Eintrittspreis. 1904 bezahlte man für die ,Fledermaus’ zwischen 80 Rappen und 7 Franken, 1912 bewegten sich die (günstigeren) Schauspielpreise zwischen 60 Rappen und 6 Franken, wobei man für einen einigermassen guten Platz (2. Rang A) 2 Franken rechnen musste.

Im Fata Morgana kostete 1908 der erste Platz einen Franken, der zweite 60 Rappen und der dritte 40 Rappen. Im Walhalla zahlte man für den besten Platz nur 80 Rappen, im Central allerdings 1.50. Beide hatten aber auch Plätze für 60 und 40 Rappen. Da Kinder die Hälfte bezahlten, konnten sie für 20 Rappen schon ins Kino gehen. Im Übrigen gab es Ermässigungen für Vereine, Gewerkschaften und Militär. Der Welt-Kinematograph offerierte auch schon Abonnements, das Tonbild-Theater Familienreduktion. Das Walhalla gab sich sozial. In seinen Bewilligungsgesuch wies der Inhaber darauf hin, dass er die Preise so angesetzt habe, „dass es auch einem weniger Bemittelten ermöglicht ist“, sein Kino zu besuchen.

Bei grösseren Filmen (Cabiria, Richard Wagner) betrug der Eintritt einen bis drei Franken: auch zahlte man am Abend mehr als am Nachmittag, am Sonntag mehr als an Werktagen.

Als es dem Royal schon schlecht ging, Ende 1915, senkte es wochentags die Preise massiv: „50 – 40 – 20 Rappen“ stand fettgedruckt im Inserat.

DIE WERBUNG

Geworben wurde vor allem in Inseraten in den Tageszeitungen. Diese Inserate waren zu Beginn noch sehr bescheiden, was die Grösse anbetrifft: sie wurden später umfangreicher, sogar eine Achtel- bis eine Viertelseite. Bevorzugt annonciert wurde in der National-Zeitung (freisinnig - Schnitt: 12mal in zehn Tagen), am wenigsten in den Basler Nachrichten (konservativ - 1mal). Das Basler Volksblatt (katholisch) erhielt 3, der Basler Vorwärts (sozialistisch) 8 Inserate, was doch Schlüsse auf die Herkunft des Publikums zulässt: grob gesagt wurde die Schicht der Angestellten und Arbeiter angesprochen.

Neben den Inseraten finden sich auch im Lokalteil dieser Zeitungen häufig Hinweise propagandistischen Charakters für die in den Inseraten angepriesenen Filme. Anscheinend erwarb man sich mit dem Inserat das Recht auf ein „Eing., Mitg. oder Korr.“ - und davon wurde (nicht nur von den Kinos) eifrig Gebrauch gemacht.

Ein weiterer, offenbar sehr beliebter Werbeträger war der Handzettel (neudeutsch Flyer). Solche Reklameblätter wurden an den Kinoeingängen verteilt, nicht nur an Besucher, sondern auch an Passanten, von denen natürlich die meisten die Zettel gleich wieder wegwarfen- nicht zur Freude des Baudepartementes, Abteilung Strassenreinigung (…)

Daneben gab es als weitere Werbeträger wahrscheinlich noch Grossplakate an Plakatsäulen oder –wänden und sogar Reklamewagen (der Allgemeinen Plakat-Gesellschaft).

Die Sprache vor allem der Kinoinserate entspricht den Gebräuchen für Inseratentexte nach 1900 überhaupt: breiter und weitschweifiger, auch farbiger als heute. Immer etwas umständlich. Blumige Adjektive schmücken die Substantive: „hochdramatische Episode“, „tiefergreifendes Lebensbild“, „farbenprächtiger Kunstfilm“. Oft setzt man die Adjektive in den Superlativ: „im tiefsten Sumpf der Grossstadt sowie in den höchsten Gesellschaftskreisen“: im Übrigen zeigt man fast immer ein „Sensationsprogramm“. Und wenn die Superlative, selten genug, einmal ausgehen stapelt man einfach tief : „Die Bilder sprechen für sich selbst, so dass wir auf marktschreierische Reklame und übertriebene Anpreisungen verzichten können“ (National-Zeitung 4.9.1910).

DIE FILMKRITIK

Trotz der regelmässigen Inseratenaufträge wurde der Film im redaktionellen Teil der Tageszeitungen nur selten zur Kenntnis genommen und dann meist negativ, so dass Dominik Müller der Presse vorwerfen konnte, vorn würde über die Dame Kino geschimpft, hingegen „hinten macht sie dir Reklame und ist deines Geldes froh!“.

Zwar gibt es über die Frühzeit des Films, um die Jahrhundertwende, nicht wenige Berichte, doch was damals faszinierte, war das Medium selbst, seine technischen Möglichkeiten, aber nicht die Form, die ästhetische Seite.

Auch als Filme regelmässig gezeigt wurden, weil es nun eben ständige Kinos gab, findet sich keine Filmkritik, abgesehen von freundlichen Berichten anlässlich von Kinoeröffnungen. So schickte die National-Zeitung, „einer freundlichen Einladung folgend“, einen Reporter an die Première des Richard Wagner-Films. Der Mann war ergriffen von der „würdigen, weihevollen Darbietung“ und meinte, „für den Darsteller des Richard Wagner ist kein Lob zu hoch gegriffen“ (National-Zeitung 29.5.1913).

Regelmässige Filmbesprechungen gab es in der Schweiz erstmals 1913 in der ,Ähre’, dem Organ des Schutzverbandes Schweizerischer Schriftsteller, und zwar durch dessen Vorsitzenden, Karl Bleibtreu, einen Filmfan. Sonst wurden Filme nur bei der Eröffnung eines neuen Kinos oder bei Sondervorführungen besprochen. In Basel war dies, soweit bekannt, erstmals bei der Première von Cabiria der Fall (Basler Nachrichten vom 20.11.1915).`
(Verbrecherschule oder Kulturfaktor? - Kino und Film in Basel 1896-1916) Paul Meier-Kern 1992

 

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